Warum meistern manche Menschen Ausnahmesituationen besser als andere? „Resilienz heißt die Antwort“, sagt der klinische Psychologe J. Christopher Kübler und verrät, wie er seinen Klienten hilft, ihre psychische Widerstandsfähigkeit zu trainieren.

Wir alle kennen sie: Menschen, die „Nerven wie Drahtseile“ haben, „ein Fels in der Brandung“ sind oder sich immer wieder als „Stehaufmännchen“ erweisen. Mit Redewendungen wie diesen beschreiben wir eine bemerkenswerte Eigenschaft, die Experten als Resilienz bezeichnen. Sie meinen ein Erleben und Verhalten, das uns nicht nur massiven Belastungen trotzen lässt – ganz im Sinne der lateinischen Bedeutung von „resilire = abprallen“ –, sondern mit dem wir unsere Herausforderungen meistern und dabei an ihnen sogar noch wachsen können. 

Wer meint, ihm sei von Haus aus nur wenig psychische Widerstandsfähigkeit in die Wiege gelegt, wird sich über folgende Erkenntnis freuen:Erfahrungen in Beratung, Coaching und Psychotherapie zeigen immer wieder, dass die meisten Menschen Resilienzkompetenzen in sich haben, die schlichtweg nicht aktiviert sind. Das heißt: Es steckt mehr in uns, als wir uns träumen lassen.

Allgemeine Resilienzfaktoren

Dank ausgiebiger Forschungen können Wissenschaftler mittlerweile eine ganze Reihe zentraler Resilienzfaktorenbenennen. Dazu zählen zum Beispiel intellektuelle Fähigkeiten, soziale Kompetenz, Problemlösungskompetenzen, gute Selbstwirksamkeit und Selbststeuerung sowie erfolgreiches Stressmanagement. Resiliente Menschen erweisen sich zudem als lösungsorientiert, beziehungsfähig, offen, interessiert, selbstmotiviert, entschlossen, zielstrebig, sinnorientiert, positiv denkend, selbstachtsam, gelassen und in sich ruhend. Bei dieser noch nicht weiter verlängerbaren Liste idealer Eigenschaften, stellt sich unweigerlich die Frage: Wie kann ich zu einer solchen Resilienzpersönlichkeit werden? Und vor allem: Ist es tatsächlich notwendig, alle Faktoren zur Verfügung zu haben, um den Widrigkeiten des Lebens gewachsen zu sein?

Resilienz als individuelle Kompetenz

Diesbezüglich gilt es folgendes zu verstehen: Listen wie die der Resilienzfaktoren machen allgemeine Aussagen bezogen auf einen statistischen Durchschnitt der untersuchten Personen. Für den praktisch arbeitenden Coach, Berater oder Psychotherapeuten ist diese Form wissenschaftlicher Erkenntnisse weniger dienlich. In ihrem Arbeitsalltag geht es nämlich um einzelne Individuen und deren spezifische Lebenssituationen. Hier stellt sich vielmehr die Frage nach der individuellen Resilienzkompetenz. Sprich: Welchen Herausforderungen sieht sich dieser bestimmte Mensch gegenübergestellt? Welche auf ihn abgestimmten resilienten Verhaltensweisen wären für ihn zielführend? Und welche Resilienzfaktoren braucht er, um sich in dieser Art und Weise verhalten zu können? Ein Mensch, der beruflich ständig in exponierter Stellung steht, von dem diplomatisches Geschick erwartet wird (trotz seines cholerischen Temperaments) und dem die Zeit ständig im Nacken sitzt (was seinem Bluthochdruck nicht gerade entgegenkommt) braucht darauf abgestimmte Kompetenzen. Wiederum andere Resilienzfaktoren helfen jemandem, dem hohe permanente Konzentration abverlangt wird, der dazu neigt, einen gewissen Phlegmatismus zu pflegen und der mindestens einmal am Tag mehr oder weniger starke Kopfschmerzattacken hat. Genau darum geht es in der Praxis des Resilienzcoachings: um individuelle Antworten und Vorgehensweisen für jeden Einzelnen. 

Praxis des Resilienzcoachings

Je nach Resilienz- und Persönlichkeitskonzept gibt es im Coaching sicherlich ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Ein sehr hilfreiches Vorgehen basiert z. B. auf der Potentialhypothese. Diese besagt, dass die meisten Menschen kein wesentliches Defizit an Resilienzkompetenz haben, das irgendwie ausgeglichen oder gestopft werden müsste. Wir haben an Kompetenz was wir brauchen, sie ist (zeitweise) nur nicht (ausreichend) aktiviert. Resilienzcoaching in diesem Sinne bedeutet dann „Schatzsuche“ und „Schatzverwertung“. Es geht darum, bereits vorhandene Kompetenzen aufzufinden und sie zu aktivieren. Hierbei können psychologische Methoden helfen, die jeder von uns auch im Alltag bei seinem eigenen „Psychomanagement“ benutzt – meistens jedoch ohne es zu bemerken und teilweise noch nicht so vielseitig und geschickt wie möglich. Das liegt daran, dass dieses „Psychomanagement“ in der Regel unbewusst und unwillkürlich abläuft. Experten sprechen von hypno-imaginativen, psychoenergetischen und systemischen Aufstellungstechniken, die wir alltäglich irgendwie handhaben und die es im Coaching zu optimieren gilt. Zum Beispiel indem wir willkürlich auf unsere unwillkürlich wirkende Kompetenz zuzugreifen lernen. Dadurch, dass in dieser Art des Resilienzcoachings sowohl an vorhandene Kompetenzen als auch an bereits alltäglich verwendete „Psycho-Techniken“ angeknüpft wird, ist die Chance recht groß, schon in kurzer Zeit zu einer spürbaren Verbesserung der eigenen Resilienzkompetenz zu gelangen. Denn wie gesagt: Es liegt mehr in uns, als wir uns träumen lassen!

Geschichte der Resilienzforschung

1950 führte Jack Block den Begriff „Resilienz“ in die Wissenschaft ein. Zunächst blieb dieser jedoch ohne weitere Beachtung. Erst 20 Jahre später griffen Emmy Werner und Ruth Smith das Thema in einer viel beachteten Langzeitstudie an Kindern der Insel Kauai wieder auf. Ihre Fragestellung: Warum entwickeln sich Kinder unter gleich schlechten Bedingungen so unterschiedlich? Sie hatten beobachtet, dass einige schwer belastet und psychisch beeinträchtigt aufwuchsen, während andere den Anschein machten, den Umständen gewachsen zu sein. Die Forscherinnen schrieben dies einer unterschiedlichen Resilienzausstattung zu. Ein Großteil der Resilienzforschung befasst sich seither mit der Frage, welche psychischen Faktoren Resilienz bewirken und welche Umwelt- beziehungsweise Erziehungsbedingungen entscheidenden Einfluss auf diese Faktoren haben. Die aktuelle Popularität des Begriffs „Resilienz“ steht im Zusammenhang mit der wachsenden Sensibilität für Themen wie Stress, Coping, Burnout, Salutogenese und Achtsamkeit. Sie alle zielen auf ein praktisches Kernproblem ab: Wie können Menschen ihre psychische Kompetenz so fördern und entwickeln, dass sie die Herausforderungen des Alltags gesund meistern?


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